Das ungemein bewegte Grisaille-Aquarell erinnert im ersten Moment an Rudolf Kollers "Gotthardpost": Ein aufs Äusserste angetriebenes Pferdegespann kommt den Hang heruntergerast. Der Dreispitz tragende Kutscher zieht energisch die Peitsche.
Er lacht geradezu hämisch, als wolle er einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen. Neben ihm klammert sich krampfhaft ein junger Mann mit angstvollem Gesichtsausdruck auf dem Kutschbock. Er hält mit der einen Hand seinen Hut fest. Die rasende Kutsche hebt partiell ab, wirbelt eine Menge Staub auf.
Was der bekannte deutsche Genremaler Johann Hermann Kretzschmer hier darstellt, lässt sich genau beschreiben, denn der Maler betitelt das Bild unten rechts eigenhändig mit "Des Pagen Seydlitz erste Lustfahrt mit dem Markgrafen von Schwedt". Beim Kutscher handelt es sich demzufolge um dem Markgrafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Schwedt (1700-1771). Der junge Herr neben ihm ist Friedrich Wilhelm, späterer Freiherr von Seydlitz-Kurzbach (1721-1773). Seydlitz war der Sohn eines Kavalleristen, dessen Vorgesetzter einst der Markgraf war. Dieser nahm den kindlichen Seydlitz nach dessen Vaters frühem Tod 1728 als Pagen zu sich auf.
Der Markgraf galt als einer der besten Kavalleristen seiner Zeit und beherrschte den Umgang mit Pferden wie kein anderer. Er bildete den Pagen Seydlitz, welcher vermutlich auch Friedrich Wilhelms Patenkind geworden war, im Kavalleriewesen aus. Dabei hatte der Markgraf als unerschrockener Lehrmeister seine ureigenen Methoden: Er unternahm tollkühne Ausritte und ausgefallene, nicht ungefährliche Reitmanöver, um seinem Zögling das Pferde-"Handwerk" weiterzugeben.
Zu Beginn erlitt der junge Seydlitz wahre Schockmomente, wie man etwa auf dem hier präsentierten Bildnis sieht. Die Ausbildungsmethode erwies sich aber als Erfolg: Seydlitz wurde ein wahrer Meister im Umgang mit Pferden, schlug eine Militärlaufbahn ein, machte sich in Kriegszeiten wiederholt verdient und wurde geadelt.
Johann Hermann Kretzschmer zeigt uns hier den ersten grossen Schreckmoment des jungen Seydlitz unter den Fittichen seines Erziehers und Ausbildners Markgraf Friedrich Wilhelm von Schwedt. Das meisterhafte Aquarell ist dynamisch und bewegt. Durch die partielle weisse Höhung treten vor allem die beiden Männer optisch hervor und somit in den Mittelpunkt des Geschehens. Im Hintergrund links ist die Silhouette einer Stadt erkennbar, vermutlich Schwedt.
Kretzschmer, 1811 in Anklam geboren, studierte in Düsselorf Malerei bei Wilhelm von Schadow. Danach bereiste Kretzschmer den Mittelmeerraum und den vorderen Orient. Auf dieser ausgedehnten Exkursion entstanden zahlreiche namhafte Porträtgemälde. Seine während der Reise angefertigen Skizzen und Studien dienten ihm nach seiner Rückkehr als Grundlage für orientbezogene Darstellungen. Doch wandte sich Kretzschmer schliesslich wieder der Genremalerei zu. Er starb 1890 in Berlin.
Das eindrucksvolle Grisaille-Aquarell ist in einem schönen, frischen Zustand. Oben links in der Ecke hat es eine kleine, ca. 3cm lange Faltung. Neben der erwähnten Betitelung trägt das Aquarell links die Signatur Kretzschmers. Verso ein alter Nachruf auf den Maler. Das Blatt ist in einem Passepartout montiert.
Masse Blatt: 28x34,5cm
Masse Passepartout: 40x50cm
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CHF 830.00Preis
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