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Ode an die gute alte Zeit

(Artikel aus der "Zuger Zeitung" vom 12. April 2025 von Andreas Faessler)

Heimatgefühle und der Wunsch nach heiler Welt: Eine teils naturgetreue, teils idealisierte Ansicht von Oberägeri aus dem 19. Jahrhundert vermittelt anschaulich den Kunstzeitgeist von einst.


Ansicht des Dorfes Oberägeri von 1867
Eine «idealisierte» Ansicht von Oberägeri

Es ist ein repräsentatives Beispiel romantisierender Schweizer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, was wir hier vor uns sehen. Für Ortskundige unschwer zu erkennen: Es zeigt eine Ansicht des Dorfes Oberägeri. Der Blick wird durch die Geländesenke geleitet über das Kirchdorf und den Ägerisee auf den Morgartenberg. In der Ferne erheben sich die Mythen und die weiter südlich liegenden Schwyzer Alpen. Es besteht eine ausgeprägte Tiefenwirkung.


Das Hauptaugenmerk ist jedoch auf das stattliche Wohnhaus mit Stallscheune in der rechten Bildhälfte gerichtet. Es handelt sich um eines jener regionaltypischen Bauernhäuser, wie sie hauptsächlich im 18. und frühen 19. Jahrhundert entstanden sind. Flankiert wird die beschauliche Szenerie von zwei Bäumen, die einen wesentlichen Teil der Bildhöhe einnehmen.


Aus dem Umkreis führender Meister


Wer diese hübsche, neulich auf dem Schweizer Kunstmarkt aufgetauchte Vedute gemalt hat, ist nicht eindeutig geklärt. Eine schwer leserliche Signatur «A.Burckhard(t)» lässt zunächst Anna Elisabeth Burckhardt-Vischer (1783-1857) vermuten. Die Basler Bürgerstochter und Mitbegründerin der Stiftung Kinderspital Basel war als Laienmalerin aktiv und sehr begabt. Von ihr sind stilistisch und geografisch vergleichbare Werke wie das vorliegende bekannt. Da dasjenige von Oberägeri mit 1867 datiert ist, die Malerin zu dem Zeitpunkt jedoch bereits zehn Jahre tot war, bleibt die Autorenschaft unschlüssig. Malweise und Komposition – wenn auch nicht die Qualität – erinnern stark an die damals führenden Schweizer Landschaftsvedutisten wie Johann Gottfried Steffan oder Jakob Josef Zelger. Womöglich ist die Malerin oder der Maler in diesem Umkreis zu verorten.


Ganz typisch für die Entstehungszeit dieses Gemäldes ist eine allgemein idealisierte Wiedergabe der Natur. Die Betonung liegt auf der Schönheit der Landschaft, über der eine geradezu mystische Ruhe liegt. Friedliches bäuerliches Leben hält in der Szene Einzug in der Gestalt eines Landwirts und zweier weidender Kühe. Die Schweizer Landschaftsmalerei in der Mitte des 19. Jahrhunderts war besonders stark von einer Sehnsucht nach heiler Welt und der «guten alten Zeit» geprägt, zumal die Stimmung in der Bevölkerung angesichts der neuen Staatsordnung von 1848 und der allmählich einsetzenden Industrialisierung emotional aufgeladen war.


Eine «Vorlage» aus dem Dorf?


Typisches Bauernhaus aus der Zentralschweiz
Das abgebildete Bauernhaus erinnert an dasjenige an der Mitteldorfstrasse 34

Will man sich jetzt auf die Suche nach dem Standort der Malerin oder des Malers machen, wird es schwierig, zumal davon auszugehen ist, dass es sich hier in der Tat um eine in Teilen zwar naturgetreue, mehrheitlich aber stark idealisierte Wiedergabe eines Ganzen handelt. Eine vergleichbare (unverbaute) Sicht auf Dorf und Landschaft hätte man heute vielleicht vom Bereich Schneitstrasse/Erliberg. Das Bauernhaus selbst erinnert stark an das Haus Oberfischmatt an der heutigen Mitteldorfstrasse 34, ein stattlicher, ortsbildprägender Blockbau mit seitlicher Laube. Bauernhäuser dieser und ähnlicher Art sind in der Region mehrfach anzutreffen. Dass sich die Künstlerhand in diesem Fall von besagtem Oberägerer Beispiel hat inspirieren lassen und es «passend» in die Szene hineingesetzt hat, scheint nicht abwegig.


Wie hoch der idealisierte Bildanteil dieses Gemäldes letztlich auch ist – das Ölbild ist ein hübsches, liebevolles Zeitdokument aus dem Ägerital, welches die Anmut der heimischen Natur und die Einfachheit bäuerlichen Lebens in der Voralpenregion wiedergibt.

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