(Artikel aus der "Zuger Zeitung" vom 1. Mai 2021 von Andreas Faessler)
Es ist ein Moment höchster Andacht und frommer Demut: Geneigten Hauptes, teils kniend wenden sich die Menschen dem Auszug aus der Kirche zu, um sich wohl bald mit den Voranschreitenden zu einer Fronleichnamsprozession zu formen. Die meisten Menschen tragen ihre schönste Sonntagskleidung und halten sich an das Gebot der Geschlechtertrennung: Die Damen sammeln sich links am Gassenrand, die Herren rechts vor der Mauer.
Die Prozession wird angeführt von älteren Messdienern, Fahnenträgern und Kruziferar. Ihnen folgen ein Diakon und zwei junge Mädchen in weissen Kleidern mit Girlande in den Händen, hinter ihnen ein Trupp Ministranten, einer davon schwingt das Weihrauchfass. Unter einem blauen Baldachin folgt der Priester – es dürfte sich in diesem Fall um Johann Jakob Bossard handeln, von 1830 bis 1856 Stadtpfarrer von Zug. Er trägt die Monstranz mit dem Allerheiligsten.
Trotz der Vielfigurigkeit der hier dargestellten Szenerie liegt eine überaus sakrale Aura und Stille in diesem Winkel der Altstadt, welche jeder Ortskundige sofort als diejenige von Zug erkennt. Zu sehen ist prominent die spätgotische Kirche St. Oswald, von der gleichnamigen, bsetzisteingepflasterten Gasse aus. Rechts steht das noch heute genau so vorhandene barocke Sandsteinkreuz mit Totenschädel.
Durch die Gassenflucht fällt der Blick auf das ehemalige Stadtspital von 1517, welches 1876 zum Burgbachschulhaus in seiner heutigen Gestalt umgebaut worden ist. Betont wird der Stellenwert des tiefen Gottesglaubens in der abgebildeten Szene durch die perspektivische Überhöhung der Oswaldskirche ohne stürzende Linien sowie durch das Licht, welches direkt auf deren Schaufassade und das Zentrum des Geschehens fällt. Und selbst der Hund ganz im Vordergrund scheint von der Spiritualität ergriffen und sich respektvoll zu gebaren.
Bildung in München und Düsseldorf
Was wir hier vor uns sehen, ist ein eindrucksvolles Ölgemälde des Freiämter Historien-, Kirchen- und Landschaftsmalers Anton Bütler (1819–1874). Im nahen Dorfe Auw geboren, entstammte er einer in ärmlichen Verhältnissen lebenden Künstlerfamilie – Antons Vater Nikolaus (1786–1864) und sein jüngerer Bruder Joseph Nikolaus (1822–1885) waren ebenfalls Kunstmaler. Aufgewachsen ist Anton Bütler in Küssnacht am Rigi, von wo seine Mutter Anna Maria, geborene Trutmann, herstammte. 1820 war die ganze Familie ins Schwyzer Dorf gezogen. Vater Nikolaus erteilte seinem Sohn bald den ersten Malunterricht.
Im jungen Alter von 16 Jahren ging Anton Bütler nach München und immatrikuliere an der dortigen Kunstakademie. Er erwies sich als talentierter Kopist alter Meister, weshalb der Nazarener Peter von Cornelius (1783–1867), seit 1825 Leiter der Akademie, auf den jungen Schweizer aufmerksam wurde und ihn als Berater für die Gestaltung der Universitätskirche St.Ludwig heranzog.
Zurück in seiner Heimat im Jahre 1840 – nun wohnhaft in Luzern – führte Bütler mehrere sakrale und profane Aufträge aus. 1848 begab er sich an die Düsseldorfer Akademie zur Weiterbildung und verbrachte ab 1858 ein Jahr in Rom, wo er erneut auf Peter von Cornelius traf. Wieder in Luzern, blieb er da sesshaft und nahm mit seinem nunmehr gewachsenen Ansehen als Künstler wie auch seinem geschärften Verständnis für die geschichtliche Bedeutung der Malerei Einfluss auf die allgemeine Perzeption der historischen Kunst. Es war ihm ein Anliegen, insbesondere bestehende sakrale Werke nicht einfach achtlos durch simples Übermalen dem Stil der Zeit anzupassen, sondern sie in ihrer ursprünglichen Form zu erhalten und zu konservieren.
Anton Bütler strebte eine Karriere in Düsseldorf an und reiste im Jahre 1865 zu seinem dort wirkenden Bruder Joseph Nikolaus. Doch konnte er nicht richtig Fuss fassen, dennoch war er einige Jahre Mitglied des einflussreichen Düsseldorfer Künstlervereins Malkasten. Ab 1868 war Anton Bütler wieder zurück in Luzern, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1874 verblieb.
Ein religiös konnotiertes Genrebild
Bütlers künstlerisches Erbe umfasst weltliche und kirchliche Historienbilder, Altargemälde und zahlreiche Landschaftsveduten. Man weiss auch von einigen wenigen Porträts und Genrebildern. In letztere Sparte lässt sich unser hier präsentiertes Gemälde am besten einordnen, zumal es eine Szene des Alltags zeigt mit Menschen, die einer Gepflogenheit frönen – hier der Eucharistie in einer feiertäglichen Form. Geschaffen hat Anton Bütler die Szene in der Zuger Altstadt im Jahre 1846, sie ist datiert neben der Signatur. Er schenkt selbst dem kleinsten Detail volle Aufmerksamkeit: Gesichter und Kleidung der Menschen sind fein ausgearbeitet, der gotische Zierrat an der Kirchenfassade ist so feinteilig wie in natura, und selbst an den Fassaden der entfernteren Gebäude erkennt man kaum einen schnellen Pinselstrich. Hoch in der Luft ziehen einige Schwalben ihre Runden vor dem wolkendurchzogenen Himmel.
Es finden sich von Bütler Altar- und Deckenbilder unter anderem in der Luzerner Hofkirche, in den Kirchen von Vitznau, Hergiswil, Rain und Malters. Von ihm stammte auch die Ausmalung der Kapelle an der Hohlen Gasse in Küssnacht. Dieses Werk ist jedoch nicht mehr vorhanden. Ansonsten stösst man auf dem Kunstmarkt hauptsächlich auf eindrucksvolle Landschaftsgemälde, vornehmlich aus der Region Vierwaldstättersee. Diese sind im Stil der sogenannten «Paysage intime» gehalten – liebliche, weitgehend naturgetreue Ausschnitte der heimatlichen Umgebung. Obschon Anton Bütler hauptsächlich in der Zentralschweiz tätig war, scheint er im Kanton Zug vergleichsweise wenig gewirkt zu haben. Allein deshalb darf man das vorliegende Gemälde als Rarität ansehen. Abgebildet in "Die Kunstdenkmäler von Zug-Stadt (Die Kunstdenkmäler des kantons Zug, Band II)" 1935/1959 von Linus Birchler, Seite 679.
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