Sich über Menschen mit anderen Glaubenseinstellungen erheben und sie verspotten – ist das christlich? Die aufgeklärte, moderne Gesellschaft wird dies verneinen. Dass die katholische Kirche mit solchem einst ihren eigenen Umgang pflegte, davon finden sich bis heute Spuren. Eine solche Spurensuche führt uns in die Pfarrkirche St. Jakobus der Ältere in Feusisberg SZ. Hoch über dem Zürichsee thronend, birgt das spätbarocke Baujuwel ein bemerkenswertes Kunstwerk: Das Chorfresko «Triumph der Ecclesia über die Häresie» erscheint auf den ersten Blick wie eines von vielen seiner Art aus jener Zeit – eine opulent angelegte Himmelsszene mit Engeln, Wolken, einer Heiliggeisttaube, einem Kreuz und einer schwebenden Heiligenfigur.
Beim zweiten Blick allerdings fallen dem Betrachter am unteren Bildrand weltlich gekleidete Figuren auf, die nicht so ganz in die Szenerie hineinpassen wollen. Unter ihnen scheint Chaos zu herrschen, einige Engelchen schiessen Blitze auf sie herab. Es erinnert entfernt an das Jüngste Gericht.
Verspottete Figuren der Kirchengeschichte
Der Titel des Gemäldes ebnet den Weg zur Interpretation des allegorischen Bildinhaltes: Die Frau im Himmel ist Ecclesia, sie verbildlicht in Begleitung des Kreuzes und des Heiligen Geistes die katholische Kirche. Die Menschen am unteren Rand verkörpern die Häresie, also das, was die Kirche als Ketzerei betrachtet, weil es von der eigenen, als einzig richtig empfundenen Meinung abweicht.
Das Besondere an dieser Gruppe «verdammenswerter» Menschen: Es handelt sich im historische Persönlichkeiten, die hier in spotthafter Manier dargestellt sind. Mittig mit Lockenperücke sehen wir den französischen Aufklärer Voltaire, aus einem seiner Bücher zitierend. Neben ihm mit Pelzhut und weissem Umhang blickt sein genfer Zeit- und Gesinnungsgenosse Jean-Jacques Rousseau erschrocken zum Himmel.
Am Boden kriechen drei noch lachhafter, teils komödiantisch dargestellte Figuren – es sind die Reformatoren Huldrych Zwingli, Jean Calvin und Martin Luther. Links davon sind zwei bärtige Männer dargestellt. Mit ihnen wird noch weiter in der Geschichte zurückgegriffen: Es sind der Presbyter Arius, welcher mit der absoluten Transzendenz ein ganz anderes Gottesbild als die Kirche vertrat, und der orthodoxe Pothios von Konstantinopel. Der hochgelehrte Patriarch lehnte das Papsttum ab. Der krasse Gegensatz zwischen der von allem Irdischen entrückten Ecclesia und den im weltlichen Niedergrund sich windenden Witzfiguren ist höchst bemerkenswert.
Botschaft an die «Häretiker»
Die Erklärung, warum so ein drastisches Schmähbild hat entstehen können, ist im zeitlichen und geografischen Kontext zu finden. Als die Feusisberger Kirche ab 1779 erbaut wurde, stand die Pfarrei unter direktem Einfluss des konservativen, sehr aufklärungskritischen Einsiedler Abtes Beat Küttel. Einige Jahre zuvor, bereits zu Küttels Amtszeit, war die Pfarrkirche St. Verena von Wollerau errichtet worden. Da dieses Dorf direkt ans protestantische Zürich grenzt, legte Küttel Wert darauf, dass die Kirche ein Monument der katholischen Dogmatik wird und somit ein deutliches Zeichen des katholischen Glaubens ins nahe Gebiet der «Abtrünnigen» sendet.
Entsprechend wird im Bildprogramm der Kirche Wollerau ikonografisch bewusst alles glorifiziert, was der Reformator Zwingli verworfen hat. Für die Ausführung der Malereien wurden namhafte Vertreter der schwäbischen Barockmaler-Dynastie Mesmer verpflichtet. Mit den Wollerauer Fresken sollte demnach ein «Grenzstein» zum protestantischen Gebiet gesetzt werden. Ab hier ist’s katholisch und nichts anderes, so die Botschaft.
Noch deutlicher fiel diese verbildlichte Botschaft schliesslich in der nahen Feusisberger Pfarrkirche aus, wo die katholische Selbstüberhöhung voller Polemik im oben beschriebenen Chorfresko gipfelt. Der Kunsthistoriker Michael D. Schmid schreibt dazu in seinem Beitrag «Abgrenzung im Grenzraum – Konfessionelle Selbstinszenierung» (etü 1/2014, S. 36-39): «Mitten im Zeitalter der Aufklärung und der sich ausbreitenden Idee der religiösen Toleranz entstand in Feusisberg ein Gemälde, das dem Besucher ... mit aller Vehemenz die Verwerflichkeit verschiedener Formen des häretischen Denkens und Handelns vor Augen führt.» Somit sei dieses Fresko eine «herausragende und in dieser Form einzigartige Quelle für die antiprotestantische und antiaufklärerische Gesinnung», welche beim Klerus im 18. Jahrhundert häufig vorherrschend war.
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